Am ersten Abend haben wir uns recht intensiv nur mit den ersten 38 Takten des Vorspiels befasst. Und dabei auch nur die Entwicklung der Klangfarbe in der Melodie genau untersucht. Nachgespürt, wo sich die Frabe verändert, welche Instrumente dazukommen oder ausgblendet werden. Doch das ist noch längst nicht alles, was die 38 Takte auszeichnet. Wir müssen noch einmal darauf zurückkommen. Wie erreicht es Wagner, dass die Melodie buchstäblich aus dem Nichts zu kommen scheint und immer flüchtig bleibt, ganz anders als das melancholische »Lied von der Weide« in Verdis Otello, das auf den ersten Blick wie eine Mollvariante des »Liebesmahls«, wie Hans von Wolzogen schon 1882 das mehrteilige Motiv (das auch Elemente der mit »Schmerz« und »Speer« verbundenen Thematik enthält) nennt? Es liegt an der Rhythmisierung, die an den »schwachen« Taktzeiten andockt und damit auch den größten Gegensatz bildet zum »Gralmotiv«.
Diesem, dem »Gralmotiv«, widmen wir uns anschließend. Zuviel möchte ich hier darüber noch nciht verraten, außer dass Wagner hier offen und ohne Scham als Plagiator wirkt. Es handelt sich um eine weit ins Generalbasszeitalter zurückreichende Formel der geistlichen Musik, die im 19. Jahrhundert gern zitiert wurde. Allerdings in keinem anderen Werk so vielfältig beleuchtet, vom zarten, engelhaften Gesang bis zum brutalen Marschgetöse. Nicht zu trennen ist das »Gralmotiv« vom »Glaubensthema«, das Wagner ebenfalls vorgefunden haben dürfte und das er dort wo er das »Gralmotiv« schon früher verwandte, im Tannhäuser, auch aufklingen ließ.
Wenn wir uns in diesem Tempo durch das Werk arbeiten wollten, würden wir bis Weihnachten nicht sehr weit kommen, wir stünden dann noch mitten im 1. Aufzug. Deswegen schlage ich vor, dass wir einiges überspringen und uns mit den Gralsszenen befassen. Hier kommt die Melodie des »Liebesmahles« wieder, auch in einer Mollvariante entsprechend dem Text »Nehmet hin mein Blut«, zum Schluss dann wieder in Dur, und jetzt deutlicher als vorher in der Tradition der Choralvorspiele bzw. Choralkantaten Johann Sebastian Bachs. Eine gewisse Verwandtschaft zu »Wachet auf, ruft uns die Stimme« (BWV 140) liegt nicht ganz fern wie auch der dazu gehörige »Schübler«-Choral, die Bearbeitung des 4. Satzes für Orgel BWV 645. Ob Wagner diese Musik allerdings kannte kann bezweifelt werden. Sicher aber kannte er die Matthäuspassion mit dem »soprano in ripieno« gesungenen »O Lamm Gottes undschuldig« im Eingangschor.
Nur noch ein paar Stichworte zu den weiteren Beispielen, denen wir uns annehmen sollten: die Verwandlung im ersten Aufzug (»zum Raum wird hier die Zeit«) und im dritten Aufzug (die Aue, mit wiederum wunderbaren Farbverwandlungen der Melodie von Oboe zu Klarinette und zurück).
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