Sieben Jahre ist es her, dass wir uns hier zuletzt eingehender mit Offenbachs posthum uraufgeführter Oper befassten. Damals bereitete die Deutsche Oper Berlin zum zweiten Mal eine Aufführung vor, die den erst am Ende des 20. Jahrhunderts aufgrund von aufgefundenen Manuskripten rekonstruierbar gewordenen Absichten des Komponisten so nahe wie möglich kam. Die erste war schon 2002 herausgekommen, als die Zehlendorfer Operngespräche von mir erst gerade übernommen worden waren. Der Text von 2018 kann durchaus immer noch zu Rate gezogen werden (hier). Als die Komische Oper mitten in der Corona-Zeit die experimentelle Aufführung mit drei Titelfiguren, einem Schauspieler, einem Bariton und einem Tenor wieder auf den Spielplan setzte und bei »operavision« einstellte, kamen wir nur kurz darauf zu sprechen. Auf YouTube findet man jetzt nur noch das »Chanson d'Olympia«.
Nun ist wieder Les contes d'Hoffmann dran in Berlin, die Oper gehört zu den beliebtesten überhaupt, auch wenn es ganz unterschiedliche Möglichkeiten gibt, sie aufzuführen. Was genau gespielt werden wird in der Staatsoper Unter den Linden geht aus den Ankündigungen nicht hervor. In einem Punkt aber ist aufgrund der Besetzung schon klar, dass sie von den Absichten Offenbachs abweicht. Die vier weiblichen Hauptpartien – Stella, Olympia, Antonia, Giulietta – werden nicht von einer einzigen Sängerin dargestellt, sondern von drei verschiedenen. Das ist angesichts der ganz unterschiedlichen musikalischen Anforderungen verständlich, aber eben nicht so, wie es sich der Komponist vorgestellt hatte.
Was im Text von 2018 noch fehlt, ist eine Inhaltsangabe in 200 bis höchstens 250 Worten. Die liefere ich gern hier nach.
In Lutters Weinkeller steigt in der Pause des nahegelegenen Opernhauses die Muse Hoffmanns aus dem Fass. Um ihn von seinen Liebesabenteuern zurück zur Kunst zu führen, verwandelt sie sich in Nicklausse. Die Sängerin Stella, auf die er wartet, macht ihm der Stadtrat Lindorf abspenstig. Hoffmann singt das Lied von Kleinzack, schweift aber ab in seine eigenen Liebesabenteuer, von denen er drei im Kommenden ausführlich darstellt. * Die erste Geliebte ist Olympia, ein perfekter Automat, den er dank einer Brille von Coppélius für lebendig hält. Weil der Konstrukteur der Puppe ihn betrogen hat, zerstört Coppélius die Puppe, auch die Brille geht zu Bruch. Hoffmann erkennt erst jetzt, dass er eine Puppe geliebt hat. * Die angehende Sängerin Antonia trägt die Krankheit ihrer Mutter in sich. Sie kann nur überleben, wenn sie auf das Singen verzichtet. Docteur Miracle beschwört den Geist ihrer Mutter auf, der sie zum Singen verführt. So verliert Hoffmann seine zweite Geliebte. * In Venedig verfällt Hoffmann der Kurtisane Giulietta, die für den Capitaine Dapertutto ihre Klienten des Schattens bzw. des Spiegelbilds beraubt, damit dieser Macht über sie gewinnt. Schlémil hat den Schlüssel zu ihrem Boudoir. – Mit Dapertuttos Degen tötet Hoffmann Schlémil. – Giulietta entlockt Hoffmann sein Spiegelbild. Er will sie töten, trifft jedoch ihren missgestalteten Liebhaber Pitichinaccio. * Das Ende der Oper ist erreicht. Hoffmann ist immer noch im Weinkeller. Stella stößt dazu und verschwindet wieder mit ihrem Diener. Je nach Fassung singt Hoffmann nun eine vierte Strophe des Liedes von Kleinzack, oder die Muse begleitet ihn nach Hause... auch beides ist möglich.
Auf YouTube und in den Mediatheken ist das Angebot an Audios und Videos extrem groß, ich will versuchen, etwas Ordnung hineinzubringen. Fangen wir mit den beiden Filmklassikern an: Michael Powell und Emeric Pressburger, die Spezialisten für Tanz und Musik dieser Jahre, drehten 1951 einen Kinofilm. Als Musikalischen Partner konnten sie Sir Thomas Beecham gewinnen, der dem Film, der auch in einer deutschsprachigen Variante existiert, seinen besonderen Stempel aufdrückte. Aus dieser großartigen Produktion ist leider bei YouTube derzeit nur die Szene der Olympia zu sehen. Als DVD ist der Film im Rahmen einer »Powell and Pressburger Collection« verfügbar, wo u. a. auch The Red Shoes und The Life and Death of Colonel Blimp dabei sind. Der andere Klassiker ist der von Walter Felsenstein, 1970 auf Grundlage seiner Inszenierung an der Komischen Oper von 1958 bei der DEFA gedreht. Melitta Muszely als Stella, Olympia, Antonia und Giulietta ist großartig, aber der Film leidet unter einer gewissen musikalischen Behäbigkeit, die gar nicht so recht zu Offenbach passt (aber zeittypisch ist). Er ist etwas für Nostalgiker. Es gibt ihn hier bei YouTube. Unter den neueren Opernübertragungen ist die aus München von 2011 zu empfehlen, sie wahrt die richtige Reihenfolge der Akte und enthält eine Menge Musik, die in traditionellen Aufführungen nicht gespielt wird. Andrereseits enthält sie die »Spiegel-Arie« (von einem Spiegel ist im Text nicht die Rede, sondern von einem Diamanten). Diana Damrau und Rolando Villazon sind die Stars der Aufführung. An vielen Stellen wird auch auf die Variante mit Dialogen zurückgegriffen, was das »Offenbachische« betont. Hier ist sie zu finden. Die Ton-Bild-Koordination ist leider nicht ganz sauber. Die Übertragung von 2022 aus Monte-Carlo ist das Gegenstück mit weniger Dialogen – aber auch mit »Spiegel-Arie« und sogar mit dem »Septett«, das vermutlich mit Offenbach gar nichts zu tun hat. Juan Diego Flórez und Olga Peretyatko sind unter der Musikalischen Leitung von Jacques Lacombe und in der Inszenierung von Jean-Louis Grinda hier zu sehen und zu hören. Wer lieber eine aktuelle aber musikalisch traditionellere Aufführung sehen möchte, also mit mindestens drei Sängerinnen für die weibliche Hauptfigur, mit »Spiegel-Alrie« und »Septett«, konsequenterweise aber ohne die Chanson der Giulietta, weder in der Sopran- noch in der Koloratursopran-Fassung (sie ist ja ein Mezzo-Sopran), der greift auf die Met 2023 zurück, hier ist sie. Und jetzt für die Liebhaber historischer Tonaufnahmen. Die älteste auf YouTube greifbare stammt aus dem Jahr 1937. Maurice Abravanel dirigierte damals an der Met. Und da wusste man noch, dass die Geliebten Hoffmanns alle eine Person sind, Vina Bovy singt Stella, Olympia, Giulietta und Antonia (ja, leider in dieser Reihenfolge, anders kannte man das nicht) René Maison ist Hoffmann und Lawrence Tibbet singt die vier Gegenspieler. Den Soundtrack des Powell & Pressburger Films findet man hier als Playlist (Werbung müssen Sie halt überspringen). Er wurde vier Jahre vor dem Film aufgenommen. André Cluytens hat Les contes d'Hoffmann zwei Mal im Studio aufgenommen, 1947 und 1965. 1947 waren nicht nur vier Sängerinnen für die weibliche Hauptpartie beteiligt (darunter Vina Bovy, die an der Met alle vier Rollen gesungen hat), sondern auch vier verschiedene »Bösewichter«. Hier wieder als Playlist mit Werbung. In der späteren Einspielung darf George London immerhin zwei »Bösewichter« singen, dafür hatte Cluytens (oder der Schallplattenproduzent) noch die originelle Idee, den Nicklausse mit einem Bariton (Jean-Christophe Benoit) zu besetzen. Der große Pluspunkt aber ist Nicolai Gedda. Hier das Lied vom Kleinzack. Es gibt noch weitere verstreute Ausschnitte, aber, wenn Sie alles hören wollen, dann müssen Sie die CD Kaufen oder über einen Streamingdienst hören. Und hier zum Vergleich Richard Tucker aus der Met 1955 unter der musikalischen Leitung von Pierre Monteux. Auch diese Aufnahme gibt es gesamt als CD und bei Streamingdiensten.
Soviel für heute. Bis Mittwoch,
Ihr Curt A. Roesler
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.