Mittwoch, 16. November 2022

Jacques Offenbach 3 Einakter

Die Spielpläne Berlins und Brandenburgs bringen noch in diesem Jahr drei eher unbekannte Einakter von Jacques Offenbach in Neuproduktionen; in der Komischen Oper Berlin gibt man eine Kombination aus Oyayaye und La chanson de Fortunio; im Stadttheater Brandenburg eine Offenbachiade, die auf Ba-Ta-Clan aufbaut. Oyayaye wurde 1855 kurz vor der Eröffnung der »Bouffes-Parisiens« in den »Folies-Nouvelles« aufgeführt, Ba-Ta-Clan gehört zum ersten Jahrgang an den »Bouffes-Parisiens«, La chanson de Fortunio entstand zur Blütezeit dieses Theaters 1861. Oyayaye ou La Reine des îles wurde später kaum noch aufgeführt und es gibt keine Tonaufnahme, ja noch nicht einmal eine gedruckte Fassung davon, während die »chinoiserie musicale« Ba-Ta-Clan sich schon bald nach der Uraufführung verbreitete, auch etwa in Wien und Berlin gespielt wurde. Keine 10 Jahre danach nannte sich ein Pariser Vergnügungslokal Ba-Ta-Clan; es existiert noch heute, allerdings an anderem Ort, und dort erlangte 2015 traurige internationale Aufmerksamkeit durch einen Anschlag des IS. Von Ba-Ta-Clan gibt es Schallplattenaufnahmen (die erste 1966 unter Marcel Couraud) und es existieren zahlreiche Bearbeitungen, auch unter alternativen Titeln wie Klim-Bim oder Tschin-Tschin (deutsch) bzw. Ching-Chow-Hi (englisch). Der Münchner Verlag Ahn und Simrock (heute zu Boosey & Hawkes gehörend) veröffentlichte eine deutsche Fassung des einstigen Dramaturgen des Gärtnerplatz-Theaters Josef Heinzelmann, die auch dieser Aufnahme des RSO Berlin (heute Deutsches Symphonie-Orchester) zugrundeliegt: (Playlist). Auch La chanson de Fortunio gehört zu den beliebtesten Einaktern von Offenbach, hier gibt es unzählige, vor allem deutsche (Fortunio's Lied), Bearbeitungen. Eine von 1959 aus Hamburg gibt es auf CD: hier.

Alle drei Werke offenbaren eine unbändige Lust, sich zu verkleiden. Am deutlichsten ist das in Ba-Ta-Clan, wo sich drei als Chinesen verkleidete Franzosen in einem chinesischen Miniatur-Reich treffen und sich erst nach einigen Verwirrungen als solche erkennen. Mit Oyayaye hat die Handlung gemeinsam, dass das Ende im Aufbruch ins geliebte heimische Paris besteht. Oyayaye und La chanson de Fortunio haben auch etwas Verbindendes, das Cross-Dressing. Die menschenfressende Königin der Inseln wird nämlich von einem Mann gesungen. Bei der Uraufführung war das der Theaterdirektor Florimond Ronger, genannt Hervé. Und die Schreiberlinge in Fortunios Anwaltskanzlei sind Soprane, der Koch Mezzosopran.

Oyayaye ist die Königin eines kleinen Menschenfresservölkchens auf einer Insel, vermutlich im Atlantik, jedenfalls am Weg von Paris nach Amerika. Auf dieser Insel landet Racle-à-Mort, der gescheiterte Kontrabassist des Pariser Théâtre de l'Ambigu-Comique. Dieses Theater existierte von 1769 bis zu seiner Zerstörung 1827 auf dem Boulevard du Temple; nach dem Brand wurde sogleich ein Neubau am Boulevard Saint-Martin errichtet, der erst 1966 abgerissen wurde. Mit 2.000 Zuschauerplätzen gehörte das Theater zu den größeren in Paris und stand in Konkurrenz sowohl für die Folies-Nouvelles (600 Plätze) wie auch für die Bouffes-Parisiens (Salle Lacaze: 300; Salle Choiseul: 900). Racle-à-Mort ist unglücklicherweise in einer Vorstellung eingeschlafen und hat sein Solo verpasst. Er wurde gefeuert und begab sich nun eben auf eine Reise über den Ozean. Ee erlitt Schiffbruch und Kannibalen schleppten ihn vor ihre Königin. Er kann sein Leben nur retten, wenn er – wie eine männliche Scheherazade – diese mit immer neuen Späßen unterhält. Höhepunkt ist seine Improvisation auf einen zufälligen Text, den er gefunden hat: die Rechnung einer Wäscherei, die in seinem Stiefel steckte. Als er eine Rohrflöte entdeckt, spielt er darauf eine wilde Melodie. Wie die Sklaven in der Zauberflöte müssen die Menschenfresser jetzt tanzen und Racle-à-Mort kann entfliehen. Sein Kontrabass ist das Boot, ein Taschentuch das Segel, die ihn wiedrr nach Paris bringen sollen.

Das Lied Fortunios schrieb Offenbach schon 1850 für Alfred de Mussets Komödie Le Chandelier. Es wurde jedoch nicht verwendet, weil der Schauspieler des Fortunio es nicht singen konnte. 1852 nahm Offenbach es deshalb in seine Sammlung Les voix mystérieuses auf. Das Libretto, das Hector Crémieux und Ludovic Halévy (die Verfasser von Orphée aux enfers) 1861 sc hrieben, ist eine Fortsetzung der Komödie von Alfred de Musset. Der einst lebenslustige Advokat Fortunio ist älter geworden und hat ein junges Ding geheiratet, das von seinen Gehilfen umschwärmt wird. Diese kommen auch auf das Geheimnis des Liedes, mit dem er einst alle Welt verrückt machte. Bei der Suche nach einer Akte haben sie die Noten gefunden und probieren die Wirkung gleich aus. Anscheinend haben aber weder Valentin, der es bei der Advokatengattin Laurette ausprobiert, noch Paul, der die Köchin Babette im Visier hat, den gleichen Erfolg wie einst Fortunio. Erst als Fortunio Laurette empört vom Balkon zerrt, wirft diese Valentin heimlich eine Rose zu. Also hat das Lied doch nichts von seiner Wirkung verloren und Fortunio wird beschämt daran erinnert, wie er es einst bei der Gattin seines Meisters versucht hat.

Mit Ba-Ta-Clan eröffnete Offenbach am 29. Dezember 1855 das viel größere zweite Theater für die Bouffes-Parisiens, die Salle Choiseul. Wie kommt er, bzw. sein Librettist Ludovic Halévy auf China? Zwar gibt es »Exotismus« in der Zeit. Auch Oyayaye spielte mit Fernweh und Heimweh wie eine ganze Reihe von Romanen, Theaterstücken und Opern um die Mitte des Jahrhunderts, aber meistens handelte es sich um Indien, Amerika oder die Südsee. Die Chinoiserien in der Architektur sind hingegen eher in den vorangegangenen Jahrhunderten zu finden. Eine Ausnahme findet sich bei Auber: Le cheval de Bronze (Das eherne Pferd, 1835) spielt in China. Ganz aktuell aber: Auf der Pariser Weltausstellung 1855 war China ebenso vertreten wie vier Jahre vorher auf der »Great Exhibition« in London, die als die erste Weltausstellung gibt. Und schon 1854 waren chinesische Artisten nach Paris gekommen, die sich in verschiedenen Theatern präsentierten. Dabei kam in den Zeitungen auch die Frage auf, ob sie überhaupt echte Chinesen seien (das waren sie offenbar). Und das mag Halévy angeregt haben, ein Libretto zu schreiben, das unter falschen Chinesen spielt. Und so geht die Geschichte: Fé-Ni-Han ist der Provinzkaiser in einer entlegenen chinesischen Gegend. Der Name klingt schon ein wenig chinesisch, aber Franzosen können auch »fainéant« verstehen, »Nichtstuer«. Spoiler: Fé-Ni-Han ist gar kein Chinese, sondern ein Franzose, der kein einziges Wort chinesisch spricht. Daher hat er eine Kunstsprache erfunden, die chinesisch klingt, von der wir reichlich vorgesungen bekommen. Ko-Ko-Ri-Ko (Kikeriki) ist der Kommandant der Kaiserlichen Garde, der heimlich einen Aufstand plant. Die Prinzessin Fé-An-Nich-Ton (Fée à micheton, Fee für Freier) und Ké-Ki-Ka-Ko (der Name kann ganz für sich sprechen), beide auch Franzosen, was aber auch niemand wissen soll, geraten ins Visier Ko-Ko-Ri-Kos. Der Ba-Ta-Clan-Marsch ist das Zeichen für die Hinrichtung der Verdächtigen. In seiner vermeintich letzten Stunde singt Ké-Ki-Ka-Ko ein französisches Lied. Jetzt erkennen sich alle als Franzosen, auch Ko-Ko-Ri-Ko. Der nimmt nun das Todesurteil zurück unter der Bedingung, dass die drei anderen nach Frankreich zurückkehren. Dann kann er nämlich neuer Kaiser werden. Unschwer konnten die Zeitgenossen in den beiden Kaisern den Bürgerkönig Louis-Philippe und den den durch Plebiszit legitimierten Kaiser Napoleon III. erkennen. Es handelt sich also um eine Gesellschaftssatire erster Güte. Wie man das auf die heutige Zeit münzen kann, wird uns Alexander Busche in Brandenburg hoffentlich zeigen. Musikalisch ist Ba-Ta-Clan eine absolutes Meisterwerk. Absurdes Musiktheater, geschult an Rossini (speziell L'italiana in Algeri hört man durch, hier das erste Finale in einer konzertanten Aufführung).

Mehr dazu am Mittwoch in der Alten Feuerwache,

Ihr Curt A. Roesler

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