Die nächsten Vorstellungen von Lustige Weiber, oder: Falstaff – Lost in Society (nach Otto Nicolais 1849 in Berlin uraufgeführter Oper Die lustigen Weiber von Windsor) im Brandenburger Theater sind erst wieder im Juni (23. und 24.), aber vielleicht hat es ja doch jemand geschafft, eine der Vorstellungen aus der ersten Serie bis letzten Sonntag zu sehen. Ich jedenfalls war am Samstag da und sehr beeindruckt. Eine sehr mutige Inszenierung, die man nicht unbedingt in Brandenburg vermuten würde. Es sage niemand, der mäßige Besuch sei eine Folge dieser unkonventionellen Darbietung! Ich bin vollkommen überzeugt, dass eine konventionelle Produktion mit dem Trinklied in der Mitte zum Mitschunkeln, auch nicht mehr Besucher gebracht hätte, der schlechte Besuch in den Theatern hat andere Gründe. Und wir sollten aufmerksam beobachten, was in Brandenburg noch so auf die Bühne kommt, so ja z. B. Ba-Ta-Clan von Jacques Offenbach, wie ich schon vermerkt hatte.
Falstaff von Michael William Balfe fiel am 3. Oktober in Annaberg-Buchholz aus; ich kann also nicht über die Auffürung berichten am Mittwoch. Aber ich kann einiges über den Komponisten und die Oper erzählen. Balfe ist ein Zeitgenosse des 1810 geborenen Otto Nicolai; er wurde 1808 geboren und als britischer Komponist ebenso in einer Stadt, die heute nicht mehr zu Großbritannien gehört, wie Nicolai in einer Stadt geboren wurde, die schon lange nicht mehr deutsch ist. Balfe kam da zur Welt, wo auch einige der bedeutendsten englischen Schriftsteller geboren wurden – Oscar Wilde etwa oder James Joyce –, in Dublin; und Nicolais Geburtsstadt ist Königsberg. Beide verbindet außerdem, dass sie Bedeutendes für die Oper ihrer Nationen geleistet haben, aber auch große Erfolge mit italienischen Opern hatten. Von Nicolai ist die Geschichte mit Nabucco notorisch, dem Libretto, das er nicht vertonen wollte und das dann Verdi seinen ersten großen Erfolg bereitete, obwohl der es zuerst auch nicht haben wollte. Noch weniger allerdings wollte Verdi Il proscritto, imerhin ein Libretto von Gaetano Rossi, vertonen, weswegen es der Impresario Merelli von Otto Nicolai komponieren ließ. Il proscritto und Il templario waren große Erfolge in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Il proscritto in Italien nicht so sehr, weil kurz danach auch Saverio Mercadante diesen Stoff vertonte. Das Theater in Chemnitz hat beide Opern 2008 bzw. 2011 wiederaufgeführt, Il proscritto in der Wiener Zweitfassung Die Heimkehr des Verbannten; wir sprachen seinerzeit darüber. Konzertant wurde Il templario auch bei den Salzburger Festspielen 2016 aufgeführt. Ein Duett mit Adrian Sampetrean aund Juan Diego Florez ist hier zu hören. Die beiden von Frank Beermann dirigierten Chemnitzer Aufführungen wurden von jpc auf CD gepresst und sind bei Streamingdiensten wie Spotify etc. zu hören. Aber natürlich auch bie YouTube: Il templario und Die Heimkehr des Verbannten; beides sind Playlists, es kann also Unterbrechungen zwischen den Nummern geben.
Zwei weitere vollendete italienische Opern und zwei Fragmente gibt es von Otto Nicolai. Seine Italienbegeisterung endete, als die Verlobte, die Sängerin Emilia Frezzolini, die im Templario die Hauptpartie singen sollte, schon vor der Premiere einen anderen heiratete; er ging umgehend nach Wien, wo er zuvor schon einmal als Kapellmeister gearbeitet hatte, gründete dort die Wiener Philharmoniker, brachte die Neufassung vom Proscritto heraus, konnte aber Die lustigen Weiber von Windsor, die er da 1845/46 schon zum größten Teil koponiert hatte, nicht unterbringen (er war nicht rechtzeitig fertig geworden) und ging stattdessen nach Berlin, wo sie schließlich am 9. März 1849 zur Uraufführung kam. Noch im gleichen Jahr starb Nicolai, keine vierzig Jahre alt.
1825 war Balfe eigentlich zum Gesangsstudium nach Italien gegangen, nahm dort aber auch Kompositionsunterricht bei Ferdinando Paer (auf ihn kommen wir bestimmt wieder, wenn wir uns mit Fidelio befassen) und komponierte seine ersten Opern. In Palermo, Pavia und Mailand kamen sie heraus, bevor er 1835 Nach London zurückkehrte und dort am Drury Lane Theatre in kurzer Zeit nicht weniger als fünf englische Opern zur Aufführung brachte, ehe er dann vom Her Majesty's Theatre (Victoria hatte inzwischen den englischen Thron bestiegen) den Auftrag bekam, eine italienische »opera buffa« nach einem englischen Stoff zu schreiben, Falstaff. Eine lange Reihe weiterer englischer Opern folgte, und daneben zwei Werke für die Pariser Opéra-Comique und zwei italienische Opern, wovon eine (auf einen Text von Francesco Maria Piave) in Italien und eine posthum in London zur Auffürung kamen. Sein größter Erfolg war 1843 The Bohemian Girl, Arien daraus blieben über das ganz 19. Jahrhundert und auch ins 20. hinein immer im Repertoire der berühmten Opernsänger, 1951 dirigierte Thomas Beecham eine Neuproduktion an Covent Garden mit Roberta Peters in der Titelpartie. Hier die BBC-Übertragung mit Kommentaren 1. Teil, 2. Teil, 3. Teil. Und hier eine neuere Aufnahme unter der Leitung von Richard Bonynge (und nicht mit Joan Sutherland, sondern mit deren Schülerin Alexa Thomas).
Die Opernsaisons in London waren in den 1830er Jahren eng verbunden mit dem Théâtre-Italien in Paris. Man muss sich das Opernleben im 19. Jahrhundert eher wie heutige Festivals vorstellen: internationale Stars treffen sich in verschiedenen Städten und es sind immer wieder die gleichen Stars. Um Ostern herum war die Saison des Théâtre-Italien beendet und bald danach begann die Saison in London. Giulia Grisi, Giovanni Battista Rubini, Luigi Lablache, Stars, die wie heute besonders mit dem Théatre-Italien, aber auch italienischen Opernhäusern vor allem in Mailand verbinden, kamen dann nach London. Und sie sangen da mehr oder weniger das gleiche, was sie vorher in Paris gesungen hatten. Von den 14 Opern, die 1838 im Her Majesty's Theatre gespielt wurden, waren zehn nicht »neu« für das Ensemble, das war aber Falstaff von Balfe, in dem die drei genannten die Hauptpartien übernahmen. Grisi (Alice Ford) sang außerdem in Otello und La gazza ladra von Rossini, in Norma von Bellini, in Parisina von Donizetti, sowie in Don Giovanni und Le nozze di Figaro von Mozart. Luigi (oder Louis) Lablache, für den Balfe die Titelpartie komponierte, war mehrfach in seriösen Partien (Oroveso in Norma, Raimondo in Matilde di Shabran, Guglielmo in Malek Adel von Mario Costa, Fabrizio Vingradito in La gazza ladra) zu hören; er war aber auch ein berühmter Komödiant und außer dem Falstaff gab er auch den Figaro in Mozarts Oper und den Graf Robinson in Il matrimonio segreto von Domenico Cimarosa. Übrigens war er auch der Gesangslehrer von Queen Victoria. Zum »Puritani-Quartett« (die vier Sänger, die in der Uraufführung von Bellinis I puritani 1835 in Paris die Hauptpartien gesungen hatten) gehörte noch der Bariton Antonio Tamburini; er sang Mr. Ford im Falstaff.
2012 produzierte der irische Rundfunk eine Gesamtaufnahme von Falstaff, die auch auf CD veröffenticht wurde, jedoch derzeit leider weder bei Spotify, noch in der Naxos Musik Library zu finden ist, jedoch auf Deezer – und natürlich bei YouTube, hier die entsprechende Playlist.
Mehr morgen im Kurs in der Alten Feuerwache...
Ihr Curt A. Roesler
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