Luigi Nono gehörte in den 1950er Jahren zusammen mit Karlheinz Stockhausen und Pierre Boulez zu den Protagonisten der »seriellen« Musik. Im barocken Jagdschloss Kranichstein im Norden Darmstadts traf sich seit 1946 die Avantgarde der europäischen Musik zu sogenannten Ferienkursen. 1950 nahm Luigi Nono zum ersten Mal daran teil; Hermann Scherchen brachte in einem Konzert im Landestheater am 27 August seine jüngste Komposition zur Uraufführung, die Variazioni canoniche sulla serie dell'op. 41 di Arnold Schoenberg. Davor gab es im gleichen Konzert zwei andere Uraufführungen von Hans Ulrich Engelmann und von Humphrey Searle; den Abschluss bildete die 2. Sinfonie von Hans Werner Henze, die bereits am 1. Dezember 1949 im Süddeutschen Rundfunk gespielt worden war. Nono selbst erinnerte sich an die Aufführung als »unglaublichen Skandal«. Skandalös war wohl vor allem die statische Ruhe des Stücks, die so gar nicht den Vorstellungen der Zeitgenossen entsprach. Am 1.Oktober 1954 kam in der Städtischen Oper Berlin ein Ballett mit Musik von Luigi Nono zur Uraufführung. Tatjana Gsovsky hatte als Vorlage In seinem Garten liebt Don Perlimplin Belisa von Federica García Lorca gewählt. Die Hauptrollen tanzten Gisela Deege und Erwin Bredow, aber Gert Reinholm war in einer kleineren Rolle auch schon dabei, Jean-Pierre Ponnelle entewarf die Bühnenbilder. Das Ballett trägt den Titel Der rote Mantel und enthält einen großen Anteil an Gesang, wie man hier hören kann. Wenige Monate davor war Nono nach Hamburg gefahren zur posthumen konzertanten Uraufführung des Opernfragments Moses und Aron seines Idols Arnold Schönberg. Dabei lernte er dessen Tochter Nuria kennen, die er im nächsten Jahr heiratete.
1952 war Luigi Nono zusammen mit Bruno Maderna, seinem zeitweiligen Kompositionslehrer, in die KPI eingetreten. Spätestens jetzt wurde für ihn auch das Komponieren politisch und insbesondere seine Vokalmusik trägt deutliche Züge des Klassenkampfs: La victoire de Guernica. Gesänge nach Paul Éluard (1954), Il canto sospeso nach Texten aus Briefen von zum Tode verurteilten Widerstandskämpfern aus verschiedenen Jahrhunderten (1956). Das Hauptwerk aus dieser Zeit aber ist Intolleranza. Er nennt das Werk nicht Oper, sondern »Szenische Handlung in zwei Teilen«, um sich vom Kulinarischen abzusetzen. Das Libretto, das er selbst nach einer Idee des Dramturgen Angelo Maria Ripellino aus verschiedenen literarischen Texten zusammengestellt hat, ist auch kein konventioneller Operntext, sondern ein mehrfacher Aufschrei gegen Unterdrückung und Fremdenhass. Die Uraufführung am 13. April 1961 im Teatro La Fenice in Venedig gehört zu den historischen Opernskandalen. Neofaschisten störten die Vorstellung massiv. 1964 verhinderten die John Birch Society (heute eine wichtige Unterstützergruppe von Donald Trump) die Erstaufführung in Boston, die dann ein Jahr später dennoch stattfand.
Die weiblichen Partien sangen in der Uraufführung Catherine Gayer und Carla Henius. Catherine Gayer hat sich immer dankbar an die Produktion erinnert, weil sie damit sozusagen in Europa »angekommen« war und später aufgrund der Bekanntheit, die sie dadurch erlangte in das Ensemble der Deutschen Oper Berlin kam, wo sie zwar auch als Spezialistin für neue Musik eingesetzt wurde (Henze: Elegie für junge Liebende; Reimann: Melusine etc.). Von Carla Henius, die später die Experimentierbühne des Musiktheaters im Revier in Gelsenkirchen leitete gibt es ein interessantes Arbeitstagebuch.
Hauptperson ist der Emigrante (in der deutschen Version wird er »Ein Flüchtling«, richtiger wäre aber »Ein Gastarbeiter«), den die Sehnsucht nach der Heimat packt, aus der er einst geflohen ist. Die ihm nahestehende Frau aus dem Bergarbeiterdorf kann ihn nicht abhalten. Auf seinem Weg in die Heimat gerät er in der Stadt in eine verbotene Demonstration, wird verhaftet, gefoltert und landet in einem Konzentrationslager. Zusammen mit einem Algerier (von ihm selbst wissen wir nicht, woher er kommt bzw. wohin er nun will) gelingt ihm die Flucht. Der zweite Teil beginnt mit einem Konzentrat von bürokratischen und fremdenfeindlichen Absurditäten, die durch eine Explosion beendet werden. Eine Frau erhebt ihre Stimme gegen Krieg und Unterdrückung. Sie wird seine Gefährtin. Eine Traumszene führt den Emigrante zurück in sein Bergarbeiterdorf zurück, wo ihm das Bergwerk wie ein Konzentrationslager vorkommt. Endlich erreicht er mit seiner Gefährtin den Grenzfluss zu seinem Heimatland. Aber der schwillt immer mehr an und beide gehen beim Versuch, ihn zu überqueren, unter.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.