Dienstag, 25. Januar 2011

Musik unter der Guillotine

Drei Werke in der Reihe "Revolutionswochen" der Deutschen Oper Berlin haben direkt mit der "Schreckensherrschaft" Robespierres und dem Einsatz der Guillotine zu tun. Außer den Dialogen der Karmeliterinnen sind das noch Andrea Chénier von Umberto Giordano und Marie Victoire von Ottorino Respighi. In allen drei Werken finden wir musikalische Anspielungen an die Zeit der Revolution. Das "Revolutionslied" Ça ira kommt in allen drei Werken vor. Ça ira als Lied zu bezeichnen ist in diesem Zusammenhang allerdings schon etwas hochgestochen, denn der Refrain mit eben diesen Worten ("Das wird gehen", man ist heute unwillkürlich an "Yes, we can" erinnert) ist eigentlich nur ein Rhythmus. Immerhin Edith Piaf sang das patriotische Bekenntnis in einem Film. Poulenc verwendet ihn am Ende der Szene im Kloster, wo die Nonnen von der Staatsmacht überrascht und gefangen gesetzt werden. Wenn Blanche den "petit roi" (den Himmelskönig, also die Jesusfigur) fallen gelassen hat, dringt er von draußen als Lärm der Straße herein.
Poulenc reiht sich mit seiner Widmung der Partitur selbst in die Musikgeschichte ein. Er widmet sie Monteverdi, Mozart, Verdi und Mussorgsky. Ganz unzeitgemäß setzt er sich damit in eine Tradition, die andere zu der gleichen Zeit gerade zu zertrümmern suchten. Natürlich kopiert Poulenc nirgendwo seine Vorbilder, aber er zollt ihnen Respekt. So ist die völlige Freiheit in der Behandlung des Textes als kontinuierliches Rezitativ mit einzelnen lyrischen Konzentrationspunkten eine Verfahrensweise, die schon bei Monteverdi vorzufinden ist. Die Unterordnung der Musik unter den Text, ist allerdings auch ein Kennzeichen von Mussorgksy, der vielleicht der erste war, der Prosa vertonte. Spät kam ein Strukturelement in das Werk, das ebenfalls an die Anfänge der Oper erinnert, die (instrumentalen und vokalen) Zwischenspiele, die an die Formgebenden Ritornelle in der frühen Barockoper erinnern. Gleichzeitig aber erinnert das erste Zwischenspiel (zwischen dem 1. und 2. Bild des 1. Aktes) an Mussorgskys "Promenaden" in den Bildern einer Ausstellung. Direkte Parallelen zwischen Mussorgsky und Poulenc gibt es in der realistischen Darstellung des Todes. Hier Nicolai Ghiaurov mit Boris'Tod und hier Nadine Denize als Madame de Croissy.
Verdi ist vermutlich nicht so sehr wegen seiner bewundernswürdigen Kraft seiner Melodien genannt, als vielmehr wegen seiner kompromisslosen Wahrheitssuche, die sich besonders darin zeigt, dass er jederzeit die Form dem Inhalt unterordnet und gerade dadurch zu neuem Formenreichtum gelangt. Die Melodien Poulencs sind vielmehr an Mozart geschult. Als Beispiel möge das Arioso der Madame Lidoine in der Conciergerie im 3. Akt gelten.
Die Inszenierung von Günter Krämer lehnte sich sehr stark an die literarische Vorlage an und nimmt den Hinweis, dass die Französische Revolution "nur eine Folie" sei, und dass sie Gegenwärtiges "zurückspiegele" sehr ernst. In Blanche sah er zwar nicht das Ebenbild der jüdischen Philosophin Edith Stein, die zum Katholizismus übergetreten war und 1933, nachdem ihr die Nazis Lehrverbot erteilt hatten, in den Kölner Karmel eintrat, was sie allerdings nicht schützte, sie wurde 1942 in Auschwitz ermordet. Gertrud von le Fort stand zeitweise in engem Kontakt mit Edith Stein, die von Jannes Paul II. 1987 in Köln selig gesprochen worden war, woran sich Krämer lebhaft erinnerte. Eine wissenschaftliche Untersuchung über das Verhältnis der beiden Frauen und den Bezug zu den Karmelitinnen von Compiègne wurde anlässlich der Kölner Premiere der Inszenierung von Günter Krämer geschrieben und ist hier im Internet abrufbar.
Abweichend von der offiziellen Übersetzung wählten wir den Titel Dialoge der Karmeliterinnen. "Dialoge" deswegen, weil auch der Originaltitel das Fremdwort benutzt ("Gespräche" wären "entretiens") und weil es wirklich vorwiegend Dialoge im Sinne von Zweiergesprächen sind. "Karmeliterinnen" bewusst altertümlich gelassen, damit klar ist, dass, wie gegenwärtig der Stoff auch ist, nicht und vor allem nicht nur die heutigen Karmelitinnen gemeint sind.
Noch ein Wort zum Begriff Karmel: auf dem Berg Karmel (in der Nähe der heutigen Hafenstadt Haifa) siedelten sich Ende des 11. (oder 12.?) Jahrhunderts Kreuzfahrer und Einsiedler an. Anfang des 13. Jahrhunderts erhielten sie vom Patriarchen von Jerusalem eine Ordensregel. 1238 wurden die "Brüder unserer Lieben Frau vom Berg Karmel" von den Sarazenen vertrieben und zerstreuten sich in alle Welt. Von nun an konnte "der Karmel" in jeder Stadt sein. Jedes Kloster dieses Ordens, dem sich seit dieser Zeit auch Frauen anschlossen, heißt seither so.

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