Montag, 13. November 2023

Jacques Offenbach: Les Brigands

Einige der bedeutendsten Operetten-Erfindungen Offenbachs sind eng mit den »Bouffes-Parisiens« verbunden, einem bis heute existierenden Theater in der rue Marigny im 2. Bezirk von Paris. 1855 wurde es zuerst sein Winterquartier, das er mit Ba-Ta-Clan eröffnete (nachdem die Weltausstellung geschlossen hatte und das Théâtre Marigny direkt an den Champs-Élysées nicht mehr so richtig passte, wir sprachen vor einem Jahr darüber), dann sein Hauptquartier, wo u. a. Orphée aux enfers und La belle Hélène in ihrer ersten Fassung herauskamen und die Gesellschaft des ersten Kaiserreichs noch mit den Mitteln der Klassikeraufbereitung auf die Schippe nahmen. 1866 eroberte er sich ein neues Theater im 2. Bezirk, das ebenfalls heute noch existiert, das Théâtre des Variétés. Bis 1869 kamen dort vier neue Operetten (»Opéras bouffes« bzw. »Opéra bouffon«) heraus, die heute zum Kernrepertoire der klassischen Pariser Operette gehören, und die überarbeitete Fassung einer Operette aus den Bouffes-Parisiens. Die Überarbeitung ist Le pont des Soupirs und die vier Kreationen sind: Barbe-Bleue, La Grande-Duchesse de Gérolstein, La Périchole und als krönender Abschluss sieben Monate, bevor das zweite Kaiserreich in den Krieg mit Preußen rutschte und schließlich unterging, Les Brigands. Diese Operette war schon ein Jahr früher so gut wie fertig, wurde aber zurückgestellt, weil Hortense Schneider, Star in Orphée aux enfers und La belle Hélène, in das Ensemble Offenbachs zurückkehrte und man für sie eine Rolle brauchte, die es in Les Brigands nicht gab; so kam es 1868 zu La Périchole.

Der Inhalt der Brigands (zu deutsch eigentlich »Räuber«, aber der Titel ist durch Schiller besetzt, daher Die Banditen) ist in einem Satz erzählt: Wahre Ehre gibt es unter Räubern, während die echten Ganoven in den Regierungen sitzen. Erläutert wird das durch eine Handlung, die in Mantua, in den Bergen und an der spanisch-italienischen (!) Grenze spielt. Dass das Ganze ausgedacht ist, bleibt dadurch immer gegenwärtig: da Italien nicht an Spanien grenzt, kann auch nicht die spanische Verwandtschaft der Kaiserin Eugénie de Montojo gemeint sein, die sich da an der Staatskasse bedienen will, das müsste jedem Zensor einleuchten.

Die Musikbeispiele sind alle aus der Aufnahme von 1988 (Warner Classics), unter der Leitung von John Eliot Gardiner singen u. a. Gislaine Raphael (Fiorella), Colette Alliot-Lugaz (Fragoletto), Tibère Raffali (Falsacappa), Michel Trempont (Pietro), Thierry Dran (Duc de Mantoue)

1. Akt: Falsacappa (heißt »falscher Mantel«, also Verkleidung) ist der Räuberhauptmann, der im ersten Akt ein wenig unter Druck seiner Leute gerät, weil seine Unternehmungen nicht mehr so viel einbringen. In einer Landschaft »à la Salvator Rosa« lagert die Bande, Hörnerklänge werden von den Felsen zurückgeworfen und er taucht mit ein paar Bauernmädchen auf, die er als Mönch verkleidet aus ihrem Dorf entführt hat. Das bringt zwar Spaß, aber kein Einkommen. Zum Glück hat Falsacappa (Tenor) eine Tochter Fiorella (Sopran), die es schon richtig drauf hat und auch den Respekt der Bande genießt. Als die den jungen Bauern Fragoletto (Mezzosopran, in deutschen Theatern aber immer von einem Tenor gespielt) herbeischleppen, stellt sich heraus, dass die beiden sich längst kennen, Fragoletto erinnert daran. Fiorella bekommt es hin, dass Fragoletto – vorausgesetzt, dass er sich bewährt – Aussicht bekommt, in die Bande aufgenommen zu werden. Kaum ist der losgezogen, nähert sich ein ganz anderer Fremder. Er fragt nach dem Weg und beinahe wird er von Falsacappas ausgeraubt. Aber er ist hübsch und Fiorella hat Mitleid mit ihm. Sie weist ihm den Weg und kaum ist er weg, kommt Fragoletto mit einem fetten Fang, sein Gesellenstück. Er hat einen Kurier des Herzogs von Mantua aufgebracht, der Geheimpapiere mit sich führt. Aus denen geht hervor, dass die Prinzessin von Granada auf dem Weg ist, weil sie ihn heiraten soll. Dafür allerdings muss er an ihre Begleiter drei Millionen bezahlen. Jetzt wird Falsacappa richtig wach – Finale Fragoletto wird aufgenommen und dann werden die drei Millionen gehlot, dafür macht er einen Plan. Gestört wird er allerdings von Stiefelgetrappe. Die Carabinieri sind auf der Suche nach der Bande, also muss sie sich schnell verstecken. Große Gefahr besteht allerdings nicht, denn die Carabinieri wissen schon selbst, dass sie immer zu spät kommen. Sie singen ganz schief und der Chor der Banditen flüstert nur (hier ein Video davon aus einer Aufführung in der Opéra-Comique). Wenn sie endgültig weg sind, kann man aufbrechen zum neuen Abenteuer.

2. Akt: In einem Gasthaus an der Grenze zwischen Italien und Spanien wird alles auf die Delegation aus Mantua vorbereitet, die hier auf die Prinzessin warten soll, um sie dann zum Herzog zu geleiten. Um den Wirt und sein Personal zu überlisten legen die Banditen wieder einmal das Pilgerkostüm an, Fragoletto und Pietro (Tenor) führen den frommen Gesang an. Es läuft wie am Schnürchen, doch Fiorella und Fragoletto haben noch eine Bedingung zu stellen, ehe sie weitermachen. Der erste Notar, dessen sie habhaft werden soll ihre Trauung vornehmen. Sie machen das gleich vor, was der dann zu machen hat. Eine kleine Küchenshow von Fragoletto, Falsacappa und Pietro in ihrem neuen Kostüm als Wirtsleute wird, zumal in deutschsprachigen Aufführungen, meist weggelassen. Campo Tasso (Tenor), Stallmeister des Herzogs, und der Hauptmann der Carabinieri (Bass) treffen ein, machen eine lächerliche Figur und werden von den falschen Wirtsleuten gleich in den Keller gesperrt – wo es reichlich alkoholische Getränke gibt. Schon trifft auch die spanische Delegation ein. Graf Gloria-Cassis (Tenor), Kammerherr der Prinzessin von Granada (Sopran) ist reichlich indigniert und in seinem »spanischen Stolz« verletzt, durch den ruppigen Empfang. Als er erst erfährt, dass Falsacappa vor ihm steht, ist er vollkommen entsetzt. Die Gendarmen können ihm und seiner Delegation auch nicht helfen, jetzt sind sie nicht nur zu spät sondern auch vollkommen betrunken. Den Spaniern werden die Kleider abegnommen und alle zusammen werden wieder in den Keller gesperrt, während sich die falschen Wirtsleute nun in eine falsche spanische Delegation verwandeln und sich nach Mantua aufmachen.

3. Akt: Am Hof des Herzogs bereitet man sich allmählich auf den Empfang der Spanier vor: Der Herzog (Tenor, es ist der Fremde aus dem 1. Akt) muss sich von seinen zahlreichen Mätressen verabschieden und Antonio (Tenor), der Schatzmeister des Herzogs, bangt im Wissen, dass er die drei Millionen längst für eigene Zwecke ausgegeben hat, auf die Reaktion seines spanischen Gegenparts. Ist er ein »homme d'honneur« (Ehrenmann)? Dann wird er das Geld auf Heller und Pfennig haben wollen. Oder ist er ein »homme d'esprit« (ein Mann mit Witz)? Dann lässt er sich sicher mit einer viel kleineren Summe bestechen. (Gustaf Gründgens hat aus der Partie des Antonio eine Hauptrolle gemacht, das Couplet klingt bei ihm so.) Da treffen die Spanier ein: Fiorella als Prinzessin, Fragoletto als ihr Page und Falsacappa als Finanzminister Gloria-Cassis. Der zeigt sich nun als unerbittlicher Ehrenmann und bringt Antonio ins Schwitzen. Aber leider waren die echten Spanier nicht ganz so sicher eingesperrt. Sie haben sich befreit und stehen nun im Palast des Herzogs. Der will die Banditen alle hinrichten lassen, aber Fiorella entledigt sich ihres Kostüms und erscheint als die, die sie auch im ersten Akt bei ihrer ersten Begegnung mit dem Herzog war. Er erkennt sie wieder und lässt Gnade walten, zumal sie verprechen, jetzt ehrliche Leute zu werden. Ob er auch Falsacappa zum neuen Polizeichef macht? Das kommt ganz darauf an, wer den Text für die Aufführung bearbeitet. Hier das Finale bei Gardiner.

Nur zwei komplette Aufführungen gibt es als Video bei YouTube. Die eine ist eine Aufführung aus Lyon, die es auch einmal als DVD gab (bei Amazon ist noch eine amerikanische Ausgabe zu sehen, die aber nicht lieferbar ist). Claire Gibault dirigierte (vielleicht kennen Sie sie als Politikerin, sie war einige Jahre sehr aktiv im Europäischen Parlament), das Bild ist leider nicht sehr brillant. Michel Trempont ist darin Falsacappa, Valérie Chevalier Fiorella, Colette Allioz-Lugaz (wie auf der CD mit Gardiner) Fragoletto; hier der Link. Die zweite Aufführung ist eine Koproduktion der Komischen Oper Berlin mit dem Pfalztheater, der kürzlich verstorbene Caspar Richter richtete die Partitur ein (auch Mozart kommt darin vor), der Text ist aktualisiert, was vollkommen legitim ist, denn die zahlreichen Anspielungen auf das Zweite Kaiserreich würde ohnehin niemand verstehen. Aber jetzt muss man auch die Politik der Wendezeit kurz nach 1990 sehr genau auf dem Schirm haben, um den Text zu verstehen. Hier Die Banditen, inszeniert von Harry Kupfer, hier.

Soviel vorerst zu den Banditen. Bis Mittwoch, ich freue mich,
Ihr Curt A. Roesler

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