Den Begriff »Renaissance« prägte der französische Historiker Jules Michelet (1798–1874) in seiner Histoire de France au seizième siècle, deren erster Band mit dem Titel Renaissance, 1855 erschien (hier das Digitalisat der Bibliothèque Nationale de France). Jacob Burckhardt veröffentlichte 1860 sein Hauptwerk Die Cultur der Renaissance in Italien (hier die PDF einer moderneren Ausgabe, schon als »Kultur«). Darin nahm Burckhardt vor allem das 14. und 15. Jahrhundert in den Focus, die bei Michelet (und bezogen auf Frankreich) nur als Vorbereitungszeit berücksichtigt werden. Weitest gefasste Definitionen heutiger Historiker umfassen für Epoche der Renaissance das 14. bis 16. Jahrhundert, um sie vom Mittelalter einerseits und dem Barock andererseits abzugrenzen. Enger gefasste beziehen nur 15. und 16. ein. Große Bedeutung bekam im deutschen Sprachraum Nietzsches Beschäftigung mit der Renaissance. Diese historische Epoche, die bis dahin kaum eine Rolle gespielt hatte, kam ins allgemeine Bewusstsein. In einem Kostümfest unter dem Titel Fest am Hof der Medicäer feierte sich das junge deutsche Kaiserreich 1875 im Kronprinzenpalais. Der Kronprinz selbst erschien dort als Heinrich VIII., seine Gattin Victoria von Preussen »in der Tracht der Bella di Tiziano«, so beschreibt es der Maler Anton von Werner (1843–1915), der ebenso teilgenommen hatte wie Ferdinand von Harrach (1832–1915), von dem es Skizzen aus diesem Fest gibt. 1879 veranstaltete Hans Makart in Wien einen Festzug aus Anlass der Silberhochzeit des dortigen Kaiserpaares einen Festzug, der sich ebenfalls an der Renaissance, speziell an Darstellungen Albrecht Dürers orientierte. Nach Nietzsche befasste sich auch Freud mit der Renaissance. Das alles sind die Grundlagen dafür, dass während des ersten Weltkriegs diese vier spätromantische Opern mit Renaissance-Sujets erschienen: Mona Lisa von Max von Schillings (Stuttgart 1915), Violanta von Erich Wolfgang Korngold (München 1916), Eine florentinische Tragödie von Alexander von Zemlinsky (Stuttgart 1917) und Die Gezeichneten von Franz Schreker (Frankfurt/M. 1918). Außer Violanta an der Deutschen Oper Berlin steht in dieser Spielzeit von diesen vier Opern nur noch Eine florentinische Tragödie in Hamburg auf dem Spielplan.
Erich Wolfgang Korngolds erste Komposition für die Bühne, das »Pantomimische Ballett« Der Schneemann wurde schon im Oktober 1910 an der Wiener Hofoper gespielt. Da war er gerade 13 Jahre alt und galt als Wunderkind. Allerdings wurde von den Zeitgenossen die Rolle seines Vaters, des einflussreichen Musikkritikers Julius Korngold kontrovers diskutiert. Aber war es nicht auch Leopold Mozart, der aus seinem Sohn Wolfgang Amadeus Mozart ein Wunderkind machte? Korngold war Privatschüler von Alexander von Zemlinsky, als er den Schneemann komponierte. Hier kann man seine originale Komposition hören. Die Instrumentation, die in der Hofoper zu Gehör kam, stammte von Zemlinsky. Hier hört man von der 1913 von Korngold selbst revidierten Fassung gut die Hälfte. Mehrere Kompositionen seines Sohnes hatte der Vater bereits auf eigene Kosten drucken lassen, darunter das als op. 1 bezeichnete Klaviertrio und die Märchenbilder op. 3, hier mit Noten. Die Verse, die Sie da lesen können über jedem der sieben Stücke, stammen von Hans Müller dem künftigen Autor nicht nur von Violanta, und Das Wunder der Heliane, sondern auch Im weißen Rößl. Bekannt ist er auch unter dem Namen Hans Müller-Einigen. Nach Einigen zwischen Thun und Spiez, heute Ortsteil von Spiez, war er mit seinem Partner 1930 gezogen, als er von Hollywood nach Europa zurückkam. Noch 1911 instrumentierte Korngold die Märchenbilder unter der Aufsicht von Zemlinsky, hier dirigiert von Caspar Richter, den einige von Ihnen noch als Offenbach-Dirigenten, vor allem der Lustigen Witwe mit Gwyneth Jones an der Deutschen Oper Berlin erlebt haben dürften.
1913 war es an der Zeit, dass Korngold endlich eine Oper schrieb. Julius Korngold fand einen Text von Heinrich Teweles (1856–1927), Der Ring des Polykrates, eine Dramatisierung der Goetheschen Ballade von 1888. Mit Hilfe von Leo Feld (1859–1927, auch Librettist von Kleider machen Leute von Zemlinsky) machte er ein Libretto daraus. Dieser Operneinakter erhielt die Opuszahl 7. Hier zu hören. 1914 war die Komposition abgeschlossen – und der Erste Weltkrieg begann. Julius Korngold und sein Sohn waren sich einig, damit ein Opernabend daraus wird, sollte noch ein zweiter Einakter dazu, und zwar möglichst einer mit einem tragischen Stoff. Sie wandten sich an Hans Müller, der zwei Renaissance-Stoffe vorschlug, Savonarola oder eine venezianische Karnevals-Tragödie. Die Entscheidung ist bekannt: Violanta. Im Sommer 1915 war auch diese Partitur abgeschlossen und Korngold spielte sie in der Sommerfrische in Altaussee einer größeren Gesellschaft vor. Darunter der Komponist Clemens (von) Franckenstein, Direktor der Münchner Hofoper. Er war so begeistert, dass er die Doppelpremiere Der Ring des Polykrates / Violanta für die nächste Spielzeit zusagte. Die Uraufführung erfolgte am 28. März 1916 unter der musikalischen Leitung von Bruno Walter.
Das Libretto bezeichnet als Ort und Zeit der Handlung für Violanta Venedig, 15. Jahrhundert. Hauptpersonen sind Simone Trovai, ein Hauptmann der Republik Venedig (Baß-Bariton) und Violanta, seine Gattin (Sopran), ergänzt zum Operndreieck durch Don Alfonso, natürlicher Sohn des Königs von Neapel (Tenor). Dazu kommen Personen aus dem Haushalt Simones wie die Amme Violantas, ein Maler und zwei Soldaten. Die Handlung kann sehr kurz zusammengefasst werden: Violanta ist vom Selbstmord ihrer Schwester Nerina traumatisiert, die von Don Alfonso verführt worden war. Um sie zu rächen lockt sie Alfonso aus dem Karnevalstreiben in ihr Haus und stiftet Simone an, ihn zu töten, wenn sie ein verabredetes Lied anstimmt. Alfonso kommt und ihr leidenschaftlicher Hass schlägt in leidenschaftliche Liebe um. Als sie das Lied auf Wunsch Alfonsos anstimmt, stürzt Simone hervor, sie aber wirft sich vor Alfonso und wird von ihrem Gatten ungewollt getötet.
Noch 1916 kam Violanta auch in der Wiener Hofoper auf den Spielplan. Maria Jeitza sang die Titelpartie. Für sie schrieb Korngold seine nächste Oper, Die tote Stadt. Und sie sang auch Violanta in der amerikanischen Erstaufführung 1927 an der Met. Pier Luigi Pizzi inszenierte 2020 (kurz vor dem ersten Lockdown) Violanta in Turin. die Aufführung wurde damals bei Operavision übertragen und es ist eine DVD bzw. Blu-ray daraus geworden, die noch im Handel ist. Online können Sie die Aufnahme bei der Naxos Video Library sehen. Frei verfügbar ist sie nicht mehr. Da gibt es nur Tonaufnahmen, natürlich zuerst die Münchner Aufnahme von Marek Janowski mit Eva Marton, Walter Berry und Siegfried Jerusalem, allerdings nur als Playlist, also meist nur mit Unterbrechungen zu hören, hier. Ebenso die Aufführung aus Turin (die es auch als CD gibt) hier. Ohne Unterbrechungen gibt es diese Live-Aufnahme aus dem Teatro Colón von 2010 mit Eiko Senda, Evan Bowers und Wolfgang Schöne.
Wie alle anderen Opern Korngolds verschwand Violanta 1933 von den Spieplänen – und zwar nicht nur in Deutschland. Während Die tote Stadt inzwischen wieder ganz selbstverständlicher Teil des Repertoires ist (in dieser Spielzeit in Mainz, Weimar und Bremerhaven), kann man das von Violanta nicht behaupten. Doch auch hier gab es seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs mehrere Stationen auf dem Weg zur Wiedererweckung endend mit der Aufnahme von Janowski 1980. Einige sind auch bei YouTube dokumentiert, hier z. B. ein Ausschnitt aus der Wiener Rundfunkaufführung 1949 mit Heinz Hoppe und Hildegard Hillebrecht, und hier eine Aufnahme von Jascha Horenstein mit dem Royal Philharmonic Orchestra von Ouvertüre und Karnevalsmusik von 1965.
Mehr wie gewohnt am Mittwoch in Zehlendorf,
Ihr Curt A. Roesler
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